Abgrenzung von Alt- und Neuverträgen bei Direktversicherungen

Der Zeitpunkt, zu dem eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, bestimmt sich nach der zu einem Rechtsanspruch führenden arbeitsrechtlichen bzw. betriebsrentenrechtlichen Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers (Anschluss an BMF-Schreiben vom 24.07.2013 - IV C 3 - S 2015/11/10002/ IV C 5 - S 2333/09/10005, Rz. 350) (BFH-Urteil vom 01.09.2021 - VI R 21/19; veröffentlicht am 07.01.2022).

 

Der Kläger war seit dem Jahr 1992 bei seinem Arbeitgeber angestellt und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Arbeitgeber hatte zugunsten des Klägers als versicherte Person im Rahmen der bei der A-Versicherung bestehenden Gruppenversicherung ab dem 01.01.1997 eine Direktversicherung (kapitalbildende Lebensversicherung) zur betrieblichen Altersvorsorge und eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Der Arbeitgeber versteuerte die Versicherungsbeiträge pauschal nach § 40b EStG a. F. in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung.

 

Im Jahr 2013 kündigte der Arbeitgeber das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich. In dem anschließenden arbeitsgerichtlichen Verfahren schloss der Arbeitgeber mit dem Kläger im April 2014 vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) einen gerichtlichen Vergleich. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt der Kläger eine Abfindung. Der Arbeitgeber verpflichtete sich, bis zum 30.04.2014 einen Teilbetrag als einmalige Entgeltumwandlung nach der sog. Vervielfältigungsregelung gem. § 3 Nr. 63 EStG in der im Streitjahr (2014) geltenden Fassung in eine Direktversicherung bei der B-Versicherung einzuzahlen. Den verbleibenden Abfindungsbetrag hatte der Arbeitgeber unter Abzug der Lohnsteuer mit der Entgeltabrechnung für April 2014 an den Kläger auszuzahlen.

Der Kläger gab in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr die vom Arbeitgeber an die B-Versicherung geleistete Zahlung nicht an. Das FA veranlagte den Kläger insoweit erklärungsgemäß.

 

Im Rahmen einer bei dem Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, die Zahlung an die B-Versicherung sei nicht nach der Vervielfältigungsregelung in § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG steuerfrei. Die Anwendung dieser Vorschrift sei nicht möglich, wenn der Arbeitnehmer bei Beiträgen zu einer Direktversicherung auf die Steuerfreiheit der Beiträge zugunsten der weiteren Anwendung des § 40b EStG a.F. verzichtet habe. So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Denn die Beiträge an die A-Versicherung (Altvertrag) seien unter Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 40b EStG a.F. pauschal versteuert worden. 

 

Das FA folgte der Auffassung der Prüferin und erließ einen entsprechenden, geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr. Das FG wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ab (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.04.2019 - 1 K 719/18). Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.

 

Das FG hat zu Unrecht entschieden, der Kläger könne die Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG nach § 52 Abs. 4 Sätze 10 und 12 sowie Abs. 40 EStG nicht in Anspruch nehmen.

 

Ab dem Jahr 2005 wurde durch das Alterseinkünftegesetz auch der Durchführungsweg der Direktversicherung in die steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG einbezogen. Für ab 2005 erteilte Direktversicherungszusagen (Neuzusagen) entfiel gleichzeitig die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung nach § 40b EStG a. F. (s. auch § 52 Abs. 40 EStG). Für die Anwendung von § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG sowie § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG a. F. kommt es folglich darauf an, ob die entsprechenden Beiträge aufgrund einer Versorgungszusage geleistet werden, die vor dem 01.01.2005 (Altzusage) oder nach dem 31.12.2004 (Neuzusage) erteilt wurde (§ 52 Abs. 4 Satz 10 EStG).

 

Zur Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, ist grundsätzlich die zu einem Rechtsanspruch führende arbeitsrechtliche bzw. betriebsrentenrechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers maßgebend; diese kann z. B. in einem Einzelvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder durch Tarifvertrag abgegeben werden (ebenso BMF-Schreiben vom 24.07.2013 - IV C 3 - S 2015/11/10002/ IV C 5 - S 2333/09/10005, Rz. 350). Hiernach ist im vorliegenden Fall eine Neuzusage gegeben. Denn der Arbeitgeber des Klägers hat sich erstmals in dem gerichtlich protokollierten Vergleich im April 2014 vor dem LAG verpflichtet, im Rahmen der Entgeltumwandlung eine Versorgung zugunsten des Klägers durch eine Direktversicherung bei der B-Versicherung zuzusagen. Die vorgenannte Verpflichtungserklärung stellt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Versorgung nicht als bloße Änderung der seit 1997 bestehenden Versorgungszusage dar.

 

Die Finanzverwaltung hat in dem BMF-Schreiben vom 24.07.2013 - IV C 3 - S 2015/11/10002/ IV C 5 - S 2333/09/10005 (Rz. 351) verschiedene Beispiele aufgeführt, bei denen ihrer Ansicht nach "bei ansonsten unveränderter Versorgungszusage" keine Neuzusage gegeben ist. Vorliegend ist keiner der genannten Beispielsfälle erfüllt.

Hat der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers mehrere Direktversicherungen abgeschlossen, ist die Frage, ob diese auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Das Fehlen oder Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos kann dabei lediglich als ein Indiz herangezogen werden. Es ist keine gesetzliche Voraussetzung für eine Neuzusage (entgegen BMF-Schreiben vom 24.07.2013 - IV C 3 - S 2015/11/10002/ IV C 5 - S 2333/09/10005, Rz. 355).

 

Das FG hat nicht weiter geprüft, ob die sachlichen Voraussetzungen der Steuerfreiheit hinsichtlich der streitigen Beitragszahlung nach § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG vorliegen. Dies wird es im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

 

Quelle: BFH-Urteil vom 01.09.2021 – VI R 21/19

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